• Saleh@feddit.org
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    5 days ago

    Ich kann dazu jedem das kürzlich stattgefundene Jung & Naiv Interview mit dem Leiter der KZ Gedenkstelle Buchenwald empfehlen. Da wird neben der Schlussstrichdebatte und den politischen Veränderungen und ihren Gefahren für die Gedenkstätten auch der Begriff der “Erinnerungskultur” und die politische Instrumentalisierung problematisiert.

    Wenn ich das halbwegs richtig wiedergebe, hat Jens-Christian Wagner erklärt, dass “Erinnern” nur ein Akt ist, der sich auf selbst Erlebtes beziehen kann, wodurch die Forderung “erinnert euch!” inzwischen schon an der Demographie scheitert. Die Forderung hat dann jedoch auch das Problem, dass sie eine persönliche “Erbschuld” impliziert, die dann natürlich zurückgewiesen wird. Das steht im Kontrast zum Gedenken an die Opfer einerseits, was unabhängig von Fragen von persönlicher Schuld geboten ist. Und es steht im Kontrast zur historischen Aufarbeitung, die eine gesellschaftliche Verantwortung gegenüber den Opfern ist, und andererseits eine Verantwortung um derartige Verbrechen niemals wieder geschehen zu lassen.

    Aus meiner Sicht ist die jetzige Erinnerungskultur, wie sie politisch und medial gelebt wird, zum Scheitern verurteilt, weil sie zunehmend performativ ist und gerade der letztgenannte Aspekt, ein “Niemals wieder” zu garantieren dabei von den Performern ignoriert wird, z.B. indem sie gegen Geflüchtete, in Armut Gedrängte und vermeintliche “Ausländer” hetzen, autoritäre Systeme aufbauen, Menschenrechte schwächen und Ungleichheit in der Gesellschaft befördern und instrumentalisieren.

    • Kissaki@feddit.org
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      5 days ago

      Das Erinnern kann ich verstehen wie das Gedenken. Das muss nicht nur auf selbst elected beziehen.

      Wenn ich sage “ich erinnere mich” ist das natürlich etwas anderes. Aber es geht doch um “ich erinnere an”.

      Auch an Wissen und Historie kann man sich erinnern und andere erinnern.

      • Saleh@feddit.org
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        5 days ago

        Ich habe die Stelle im Interview rausgesucht, wo über die Begriffe gesprochen wird. Etwa ab Minute 16 https://www.youtube.com/watch?v=6_5AxaCtGfI&t=960s

        Meine Gegenüberstellung von Erinnern und Gedenken war auch nicht die Begrifflichkeit von Jens-Christian Wagner. Er hat das “Erinnern” mit “kritischer Auseinandersetzung” und “historischer Reflexion” gegenübergestellt. Er geht auch darauf ein, dass “kollektive Erinnerung” immer mit einer Konstruktion einhergeht. Auf die Problematik geht er später noch mal ein, wenn es um die Erinnerung von Zeitzeugen geht. Die frühen Aufzeichnungen sind aus seiner Sicht sehr wertvoll, weil spätere Erinnerungen Jahrzehnte danach “kanonisiert” sind und sich das eigene Erleben mit den entstandenen Narrativen vermischt hat.

      • Saleh@feddit.org
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        5 days ago

        Begrifflich könnte man vlt. von “Erinnerungskultur” zu einer “Verantwortungskultur”.

        Inhaltlich braucht es aus meiner Sicht eine deutlich schärfere Benennung nicht nur von Faschos wie der AfD, sondern auch von Rechtsextremen, Rechtspopulisten und Steigbügelhaltern.

        Und es darf dann aus meiner Sicht auch keine Toleranz gegenüber Politikern geben, die das wiederholt und wissentlich ignorieren. Wer z.B. fordert Menschenrechte wie das Recht auf Asyl einzuschränken oder abzuschaffen hat auf Gedenkveranstaltungen und an Gedenkstätten aus meiner Sicht keinen Platz. Ein “Nie wieder” kann nur gesichert werden, wenn Menschenrechte niemals in Frage gestellt werden.

        Wie man das im aktuellem politischen Klima verankert, ohne damit dann weitere Angriffe auf die Finanzierung und Arbeit von Gedenkstätten und zivilgesellschaftlichen Initiativen für Menschenrechte und gegen Rechtsextermismus zu provozieren, weiß ich leider auch nicht. Andererseits sehen wir diese Angriffe schon jetzt von AfD, CDU und FDP auf kommunaler Ebene.

        • seeigel@feddit.org
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          4 days ago

          Wer z.B. fordert Menschenrechte wie das Recht auf Asyl einzuschränken oder abzuschaffen

          Europäische sichere Drittstaaten garantieren eigentlich, dass kaum jemand in Deutschland Asyl beantragen kann. Das Recht wurde also bereits ohne grosse Proteste in der Vergangenheit eingeschränkt.

          Wenn es um Asyl geht, kann es doch nicht sein, dass nur Menschen geholfen wird, die sich die Migration leisten können. Ausserdem moralisch unschön ist, wenn der Ursprung vieler Kriege westliche Einmischung ist.

          In dem Kontext finde ich, dass die Asyldiskussion genutzt wird, um über die eigentlichen Probleme nicht zu reden.